Am 10. Juli 2023 ist beim Westend Verlag ein Buch erschienen, welches sich den “neuesten Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO” widmet. Dr. Jonas Tögel, Propagandaforscher und Amerikanist an der Universität Regensburg, arbeitet sich in diesem Buch durch die Geschichte und Entwicklung von Propaganda. Anhand historischer Beispiele zeigt er auf, wie lange die systematische Beeinflussung der Bevölkerung bereits militärisch und geopolitisch genutzt wird und wie erfolgreich und größtenteils unbekannt diese Manipulationstechniken sind. Doch wie der Titel andeutet, geht es um viel mehr als Propaganda. Laut Tögel kann “jeder Mensch praktisch zu jeder Zeit und mit allen verfügbaren und zukünftigen Soft-Power-Waffen ins Visier geraten. Die Absicht ist die möglichst totale Manipulation seiner Gedanken, seiner Gefühle, seines Wissens, Verhaltens und seiner Weltsicht. Ein mögliches, erklärtes Ziel ist dabei nicht nur die Manipulation, sondern auch die Schädigung oder gar Zerstörung von Menschen.”

Was übertrieben alarmistisch klingt und den Eindruck erwecken könnte, selber eine angsterzeugende Propaganda zu sein, entpuppt sich als, aus offiziellen Quellen belegbare, Strategie der NATO, die zukünftig ausgeweitet und verfeinert werden soll. Tögel behandelt in seinem spannend und sachlich geschrieben Buch folgende Bereiche des sogenannten “cognitive warfare”: Kriegspropaganda, digitale Manipulation, kulturelle Manipulation und Zukunftstechnologien.

Sein Buch endet mit einer Auflistung von Manipulationswaffen, die in wenigen Worten den Werkzeugkoffer der kognitiven Kriegsführung beschreibt. Diese folgt weiter unten. Das Wissen um diese Techniken kann helfen, Propaganda zu neutralisieren, so Tögel. Hoffnungsvoll und inspirierend klingt die Botschaft im Nachwort des Buches, in welchem der Autor sich Gedanken über den Umgang mit dieser “Kriegssituation” macht.

“Wir brauchen in Zukunft nicht noch mehr Manipulationswaffen oder Soft Power und nicht noch mehr Gewalt. Was wir brauchen, ist vielmehr ein ehrlicher, respektvoller Umgang miteinander, eine gewissenhafte Aufarbeitung von Kriegslügen, Aufklärung über Soft-Power-Techniken, sowie eine zwischenmenschliche Kommunikation auf Augenhöhe, ohne Gewalt und Manipulation. Ich hoffe, dass mein Buch dazu einen Beitrag leisten kann.”

Diese Hoffnung erscheint angebracht und ging in meine Fall in Erfüllung, da ich Einblick in Manipulationstechniken bekam, die ich in der Form und vor allem in der Größenordnung nicht als diese erkannt hatte.

Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung

  • Die Tiefenpsychologie dient als Fundament der wohl wichtigsten Manipulationswaffe: die gezielte Beeinflussung des Unbewussten der menschlichen Psyche. Wie bei einem Eisberg liegt ein großer unserer Gedanken und Gefühle “unter der Wasseroberfläche”, und hier können wir so beeinflusst werden, dass wir die Steuerung selbst oft nicht bemerken. Ein Beispiel dafür ist die sog. “Gräuelpropaganda”, welche dem Feind im Krieg die schlimmsten Untaten nachsagt, während die eigenen Soldaten niemals solche Verbrechen begehen.
  • Damit eng verwandt ist die Idee der Massenpsychologie, die besagt, dass gerade große Gruppen von Menschen oder eine Bevölkerung durch das gezielte Ansprechen ihrer tiefen Gefühle besonders leicht steuerbar ist.
  • Vom Behaviorimus wissen wir, dass Menschen durch Wiederholung etwas lernen sowie verschiedene Dinge miteinander verknüpfen, die immer wieder zusammen präsentiert werden. In der Propaganda wird daher zum Beispiel ständig und auf allen Kanälen wiederholt, dass der Feind das personifizierte Böse ist, während man selbst für die Gute Sache kämpft.
  • Menschen lernen durch Belohnung und Bestrafung, und wer gesellschaftliche Ablehnung oder Ächtung erfährt, weil er sich gegen Kriege und Gewalt ausspricht, der wird durch diese negativen Folgen eher dazu bewegt werden, sich nicht zu äußern – gerade das ist jedoch in Kriegszeiten besonders wichtig.
  • Die Macht der Sprache und Wort ist eine weitere Manipulationswaffe: durch den gezielten Einsatz von positiven oder negativen Wörtern lassen sich Gedanken und Gefühle der Menschen lenken. Friedfertige Menschen wurden beispielsweise früher “Spione des Kaisers” (im Ersten Weltkrieg in den USA) oder als “Kommunisten” (im kalten Krieg) bezeichnet, heute sind Wörter wie “Verschwörungstheoretiker” oder “Schlächter” zur Abwertung von Kriegskritikern oder gegnerischen Präsidenten ein beliebtes Mittel.
  • Durch den präventiven Gebrauch solcher Begriffe kann man Menschen vor unliebsamen Informationen schützen oder sie dagegen “impfen”, das heißt “Inokulation”. So gib es Bildungsprogramme an Schulen, in denen Lernenden beigebracht wird, “Verschwörungstheorien” zu erkennen und abzulehnen, noch bevor sie mit den entsprechenden Inhalten in Berührung kommen.
  • Man kann die menschliche Psyche auf ähnliche Art und Weise lenken, wie eine Schafherde gelenkt werden kann: Menschen folgen Personen mit Autorität oder großer Bekanntheit, so wie die Schafherde dem Schäfer folgt. Außerdem folgen Menschen der Gruppe, das nennt man in der Forschung den Herdentrieb. Dafür braucht es eine möglichst einheitliche Berichterstattung in den Medien, denn bei widersprüchlichen Meldungen verpufft der Effekt des Herdentriebs. Und so, wie Schafe vor dem Hütehund Angst haben, kann man Menschen durch Angst und Belohungsszenarien in die gewünschte Richtung lenken.
  • Wie eine Schafherde sind Menschen auch von Natur aus träge, und diese Status-quo-Neigung kann man gezielt fördern. Damit einhergeht auch, dass wir gerne an unseren Glaubenssätzen festhalten und nur schwer durch Informationen zu überzeugen sind, die wir einmal glauben – darauf baut auch die Inokulation.
  • Wie Neo in dem Film “Matrix” weiß man auch in der “Kognitiven Kriegsführung” um die Macht unserer Umgebung und wie Menschen dadurch gelenkt werden können, dass man ihr Umfeld und die Informationen, welche sie erhalten (oder nicht erhalten), beeinflusst. Daher ist die gezielte Steuerung des Informationsflusses eine zentrale Technik der kognitiven Kriegsführung. Sie funktioniert unabhängig davon, ob die präsentierten Informationen selbst wahr oder falsch sind oder ob das Gesamtbild, das sie zeigen, wahr oder falsch ist.
  • Neben der Kontrolle der Informationen ist die Lenkung der Aufmerksamkeit ebenfalls eine wichtige Manipulationswaffe. So wird man im Krieg feindliche Kriegsverbrechen besonders herausstellen, eigene Verbrechen jedoch möglichst unerwähnt lassen. Ein aktuelles Beispiel ist die Tatsache, dass der illegale Angriffskrieg Russlands war zu Recht heftig kritisiert wird., gleichzeitig meist unerwähnt bleibt, dass auch die NATO-Länder in den letzten 20 Jahren viele Angriffskriege geführt hat.
  • Propaganda kann kurzfristig wirken, es gibt jedoch in der Kognitiven Kriegsführung auch sehr langfristige Manipulationsbemühungen, die auf die gesamte Weltsicht einer Person der Bevölkerung zielen. Eine solche Weltsicht wäre, dass man beispielsweise die NATO als Verteidiger der westlichen Werte ansieht – aus Sicht der NATO ist eine solche Weltsicht wünschenswert und sie kann direkten Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Militäroperationen haben.
  • Damit einhergeht die Kontrolle der Narrative. Narrative sind Geschichten, welche bestimmte Geschehnisse auf der Welt erklären und interpretieren. Ein solches Narrativ ist, wie schon erwähnt, dass die NATO westliche Werte verteidigt, dass die Ukraine für die Demokratie kämpft oder dass Russland sich nur gegen westliche Expansion und eine Bedrohung durch die NATO-Osterweiterung zur Wehr setzt. An diesem Beispiel sieht man, dass es ganz widersprüchliche Narrative und damit Sichtweisen auf die Welt gibt. Ein weiteres Beispiel ist das Narrativ, dass die USA die Pipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt haben. In Konkurrenz dazu stehen das Narrativ, dass Russland an der Sprengung der Pipelines beteiligt sein könnte oder dass es die Beteiligung einer pro-ukrainischen Gruppe gebe. An diesem Beispiel sieht man, dass sich unterschiedliche Narrative gegenseitig ausschließen können. In der Kognitiven Kriegsführung wird daher um die Deutungshoheit und das “richtige” Narrativ erbittert gekämpft.
  • Das Internet hat ganz neue Möglichkeiten für digitale Manipulation geschaffen: Menschen geben im Internet unbemerkt sehr viel über sich preis, und diese Information kann man für gezielte psychologische Manipulation nutzen, das sogenannte Mikro-Targeting. Eine weitere Technik der digitalen Propaganda sind “Trollarmeen” oder Cybersoldaten, also Spezialisten, welche den ganzen Tag im Internet verbringen und z.B. in sozialen Netzwerken Kriegspropaganda verbreiten.
  • Die derzeit modernsten Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung kreisen um den Bereich der NBIC-Wissenschaften: Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationswissenschaft(also Computer und Internet) sowie die Kognitions- oder Neurowissenschaften. Diese möchte man für neuartige Möglichkeiten der Gedankenkontrolle und -steuerung nutzen sowie zum Doping oder zur Schädigung von eigene oder fremden Soldaten oder der Bevölkerung mittels Drogen, Giften oder Nanotechnologie. Auch Biowaffen oder die Verbindung von Menschen mit Computern fällt in diesen Bereich. Einige der Manipulationswaffen gibt es heute schon, an anderen wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet.

Auszug aus dem Buch: Kognitive Kriegsführung – Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO von Jonas Tögel, Westend Verlag


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Nudging & die Manipulation der Massen – Im Gespräch mit Dr. Petkova und Dr. Tögel

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