Heute wurde mir ein Beschluss (1 UF 273/21) des Oberlandesgerichts in Jena zugespielt, den ich hier zusammenfasse und in Abschnitten zitiere. Mir fehlt die juristische Expertise den Beschluss voll umfänglich zu interpretieren.

Angeregt durch den ehemaligen Familienrichter Prestien wurden aufgrund der Corona-Maßnahmen in Schulen an vielen Familiengerichten Verfahren nach §1666 BGB angeregt. Dieser besagt: “1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.”

Nach dem Sensationsurteil in Weimar, in dem ein Richter sich die Mühe gemacht hatte Sachverständige zu dieser Thematik zu befragen und zu dem Beschluss kam, dass eine potentielle Kindeswohlgefährdung vorliege, folgten Hausdurchsuchungen beim Richter und den Sachverständigen. Der Richter hatte in seinem Beschluss die Masken- und Abstandspflicht für die betreffenden Kinder aufgehoben, da diese unverhältnismäßig seien.

Danach gab es eine Debatte über die Frage der Zuständigkeit der Gerichte. Manche Familiengerichte in Deutschland verweigerten die Verantwortlichkeit und verwiesen auf die Verwaltungsgerichte.

“Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 16. Juni 2021 entschieden, dass Verfahren, die aufgrund einer Anregung gem. § 1666 BGB vor dem Familiengericht anhängig sind, nicht an das Verwaltungsgericht verwiesen werden können. Die Familiengerichte bleiben also zur Entscheidung über eine mögliche Kindswohlgefährung berufen.”

https://2020news.de/familiengerichte-sind-fuer-%c2%a7-1666-bgb-zustaendig/

Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts in Jena stellt fest, dass die Familiengerichte für die Untersuchung der Kindeswohlfrage bzgl. der Corona-Maßnahmen an Schulen zuständig sind.

Am 21. September ist folgender Beschluss des Oberlandesgerichtes in Jena bei einer Mutter, die vorher ein Verfahren nach §1666 BGB in Sondershausen angeregt hatte, eingegangen. In dem Beschluss hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts beschlossen, dass der am 31.05. ergangene Beschluss des Amtsgerichtes/Familiengericht in Sondershausen aufgehoben wird. (AZ: 1F 141/21). Dieser hatte sich als nicht zuständig erklärt.

Eine Mutter hatte dort am 15.04. dazu angeregt, die “derzeitig bestehende nachhaltige Gefährdung des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls ihres Sohnes sowie darüber hinaus für alle weiteren Schulkinder einer Schule in Sondershausen” mit Bezug auf §1666 BGB zu prüfen.

Beschlossen wurde unter anderem

  • Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Sonderhausen vom 31.05.2021, Az.: 1F141/21 aufgehoben.

“Eine Gefährdung des Kindeswohl ergebe sich aufgrund der schulinternen Anordnungen zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes während des Unterrichts, zur Wahrung der räumlicher Distanz zu anderen Personen und/oder der Zulassung von gesundheitlichen Testverfahren an Schülern auf dem Gelände der Schule ohne vorherige schriftliche ausdrückliche Genehmigung der Sorgeberechtigten.Aus der Sicht der Kindesmutter seien zeitnah Anordnungen des Familiengerichts nach §1666 Abs. 4 BGB gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung zur Abwendung bestehender oder weiterhin drohender nachhaltiger, möglicherweise sogar generationsübergreifenden Schädigungen von ihrem Kind wie von allen anderen Mitschülerinnen und Mitschülern dringen erforderlich. … Auch handele es sich um eine Verletzung von Grund- und Menschenrechten der Kinder aus dem Gesetz und den internationalen Konventionen.”

Das Amtsgericht in Sondershausen hatte am 31.05. festgestellt, “dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unzulässig sei und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Weimar verwiesen. Die Antragsstellerin wehre sich letztlich gegen eine hoheitlich erlassene Verordnung. Hierfür sie der Rechtsweg zu der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.”

Die Mutter hatte am selbigen Tag Beschwerde dagegen eingelegt, welche das Amtsgericht dann an das Oberlandesgericht weiter vorlegte. Die Mutter begründete ihre Beschwerde damit, dass “der Anwendungsbereich des §1666 BGB grundsätzlich eröffnet sei. Für die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr sei das Familiengericht zuständig.”

Die Kindesmutter beantragte wörtlich:

  1. Die Entscheidung des Amtsgerichts Sondershausen vom 31.05.2021 wird aufgehoben
  2. der Schule wird untersagt für das beteiligte Kind Folgendes anzuordnen oder vorzuschreiben:
    1. im Unterricht und auf dem Schulgelände Gesichtsmasken aller Art, insbesondere Mund-Nasen-Bedeckungen, sog. qualifizierte Masken (OP-Masken oder FFP2-Masken) oder Andere zu tragen.
    2. Mindestabstände untereinander oder zu anderen Personen einzuhalten.
    3. an Schnelltests jeglicher Art zur Feststellung des Coronavirus Sars-Cov2 teilzunehmen.
  3. De Leitung und den Lehrkörpern in der Schule des Kindes wird geboten für das beteiligte Kind den Präsenzunterricht an der Schule aufrechrzuerhalten.
  4. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Weiter heißt es in dem mir vorliegenden Beschluss, dass “die Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts nicht haltbar” . Ein Verfahren zur Prüfung einer Kindeswohlgefährdung wird auch wenn eine Einleitung durch die Beschwerdeführerin angeregt worden ist – durch eigenständige Entschließung des zuständigen Gerichts von Amts wegen eingeleitet und darf daher nicht einem anderen Gericht aufgedrängt werden.”

Weiter heißt es im Beschluss des OLG Jena ” Das Gericht hat zunächst nach pflichtgemäßem Ermessen Vorermittlungen einzuleiten. Es hat den Inhalt der Anregungen (der Mutter) unter Berücksichtigung aller sonstigen ihm bekannten Tatsachen darauf zu untersuchen, ob ein die Verfahrenseinleitung rechtfertigender Anlass besteht… Eine solche Vorprüfung hat das Amtsgericht (Sondershausen) nicht durchgeführt. “

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