Das Vorspiel
Im Jahre 2020 lade ich zwei Personen dazu ein, sich zum Thema Frieden vor der Kamera zu unterhalten. Autor und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser und Autor und Prozessbegleiter Willi Maurer stimmen meinem Vorschlag zu und wir treffen uns in Basel, um über Frieden und die Ursachen von Gewalt zu sprechen. Beide nähern sich in dem einstündigen Gespräch dem Thema aus zwei verschiedenen Richtungen an. Ganser beschreibt detailliert, wie Großmächte, insbesondere die USA immer wieder Kriege mittels Lügen und Intrigen anzetteln und diese dann auch entgegen der UN-Charta durchsetzen. Maurer beleuchtet die Ursachen für Krieg und Gewalt aus einer eher psycho-emotionalen Sicht, welche sich die Frage stellt, warum Menschen das Potenzial für Gewalt in sich tragen und ausagieren. Am Ende des Gesprächs erwächst in Daniele Ganser ein Verständnis dafür, dass frühkindliche Erfahrungen einen Einfluss auf die Friedfertigkeit einer Gesellschaft haben können.
Den im Tessin lebenden Willi Maurer kenne ich aus vielen Jahren Selbsterfahrung in der von ihm entwickelten Gefühls- und Körperarbeit, die ich nach mehrjähriger Ausbildung selber anbiete. Ich konnte in Hunderten Prozessen miterleben, wie viel Gewalt, Hass und Zorn die Menschen in den begleiteten Prozessen wieder erlebten. Immer geht es dabei um den Schmerz, verursacht durch einen Mangel an frühkindlicher Zuwendung und Liebe bis hin zu Vernachlässigung und Übergriff verschiedenster Formen. Unter den ausagierten aggressiven Gefühlen liegt fast immer Ohnmacht, Einsamkeit und tiefe Traurigkeit verbunden mit dem Gefühl nicht dazuzugehören.
Wenn die sich in Regression befindenden Begleiteten nach dem Ausdruck ihrer Gefühle als Baby oder Kleinkind, dann doch die Zuwendung und Zugehörigkeit bekommen, die sie so sehr brauchen, entsteht regelmäßig eine unbeschreibliche Ruhe und Glückseligkeit im Raum. Von den Eltern liebevoll gehalten darf das Kind sich ganz angenommen fühlen. Eine tiefe Atmung und ein entspannter Körper deuten darauf hin, dass Frieden im Körper des „Kindes“ ankommt.
Oft melden Beobachter solcher Prozesse in den Selbsterfahrungsgruppen zurück, wie bewegend die friedliche Stimmung nach einer solch tiefgehenden Arbeit ist. Da ich selber viele Male dieses „Baby“ war und als Begleiter oftmals die Rolle von „Mama“ oder „Papa“ einnehme, kenne ich diese Glückseligkeit aus eigener Erfahrung sehr gut. Für mich glich das Erleben dieser Erfülltheit einer Art Wiedergeburt, einem Zustand sorgenloser Präsenz und Freude. Durch meine eigenen Erfahrungen und die Beobachtungen vieler Lebensgeschichten beginne ich zu erahnen, dass gesellschaftlicher Frieden auch damit zusammenhängt, wie sehr die Personen einer Gemeinschaft ihren unbewussten Schmerz integriert haben.
Seit vielen Jahren verfolgte ich ebenfalls das Wirken des in Basel lebenden Historikers Daniele Ganser und finde seine geopolitischen Forschungen zu Krieg und Frieden sehr wertvoll. Mehrere Male schockiert es mich zu lesen, wie viel, wie oft und wie lange auf der Welt schon Krieg geführt wird. Die hinterhältige Art und Weise, wie mittels Lügen Kriege inszeniert werden und daran sogar verdient wird, lassen mich teilweise sprachlos zurück. Auch international anerkannte „Verträge“ die Angriffskriege eindeutig verbieten, schienen dem kriegerischen Teufelskreis kein Ende bereiten zu können.
Am Ende eines spannenden Gesprächs bittet Ganser Willi Maurer darum sein Buch „Der erste Augenblick des Lebens – Die Bedeutung der Geburt für eine Heilung von Mensch und Erde“ zu signieren. Willi lehnt diese Bitte kurz und knackig mit dem Satz „Ich signiere keine Bücher.“ ab. Ich erinnere mich daran, wie ich kurz verblüfft bin und auch eine Verwunderung bei Daniele Ganser wahrnehme. Da ich Willi Maurer bereits viele Jahre kenne, habe ich eine Ahnung, wie er zu dieser Entscheidung kommt. Ihm ist sehr daran gelegen Personenkult und die Abgabe von Verantwortung an vermeintliche „Autoritäten“ zu vermeiden. Diese kurze Szene bleibt mir für Jahre im Gedächtnis, verbunden mit Respekt vor Willis Entscheidung von der Norm abzuweichen und damit möglicherweise in anderen Menschen Enttäuschung auszulösen.
Das eigene Buch
Zwei Jahre später schreibe ich ein Buch, in welchem ich meine Lehrjahre in der Wildnis und meine Erfahrungen mit der Gefühls- und Körperarbeit als eine Spurensuche nach Natürlichkeit darstelle. Nachdem ich mehrere Anfragen von Verlagen hinsichtlich eines Buches über meine Erfahrungen abgelehnt hatte, weil ich den Eindruck hatte, dass ich nichts wirklich Neues zu dem Thema zu sagen hatte, gefiel mit der Gedanke, ein Buch über beide Spurensuchen zu verfassen.
Das Buch wird durch eine Crowdfundingkampagne von vielen Menschen finanziell unterstützt, die daraufhin eines oder mehrere Bücher zugesandt bekommen. Im Gespräch mit dem Verleger, Martin Sell erörtern wir attraktive Möglichkeiten, die wir als Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung anbieten. Dabei kommt bereits das erste Mal das Thema signierter Bücher auf. Nach kurzer Begeisterung erinnere ich mich an den Moment zwischen Willi Maurer und Daniele Ganser und erzähle meinem Verleger die dazugehörige Geschichte. Wir entscheiden uns gemeinsam gegen die Möglichkeit signierte Bücher anzubieten, um dem Buch und seinem Inhalt die Chance zu geben für sich zu stehen und einem möglichen Personenkult um mich, den Autor wenig „Fläche zu bieten.“
Bald halte ich voller Freude ein wunderschönes Buch in meinen Händen und es dauert nicht lange, bis die erste Person mich fragt, ob ich das Buch signieren würde.
Ich bin auf diesen Moment nicht sehr gut vorbereitet und teile der mir nahe stehenden Person mit, dass ich noch unsicher bin, ob ich meine Bücher signieren möchte. Ich erzähle ihr von meinen Bedenken bzgl. des Personenkults und mein Gegenüber erwidert, dass es nur darum ginge, einen persönlichen Gruß im Buch zu hinterlassen, da wir uns bereits kennen. Ich erbitte mir Bedenkzeit. Meine Antwort ruft eine gewissen Enttäuschung hervor und bald darauf kommen immer wieder Menschen auf mich zu, die ebenfalls eine Signatur von mir wollen. Ich entscheide mich fürs Ausprobieren und signiere einige Bücher, darunter eines welche dem Weimarer Richter übergeben werden soll, der Maskenpflicht und Social-Distancing für zwei Schulkinder als unzulässig erklärte. Mit Freude schicke ich ihm einen persönlichen Gruß für seine Arbeit. Mittlerweile läuft gegen ihn ein Verfahren wegen möglicher Rechtsbeugung.
Am 17. Juli 2022 bin ich das erste Mal zu einer Lesung eingeladen. Umrahmt von improvisierter Musik und als Teil der Reihe „Freie Musik – Freies Wort“ lese ich im Theater am Rand, nahe der polnischen Grenze verschiedene Abschnitte meines Buches Spurensuche nach Natürlichkeit vor. Es ist ein gelungener Sonntagvormittag mit bereichernden Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum. Nach dem offiziellem Ende der Veranstaltung stehe ich am Bühnenrand und nehme im Augenwinkel wahr, dass sich mir mehrere Menschen mit Büchern in der Hand nähern. Es ist so weit: Die Signierstunde!
Menschen, die ich nicht kenne, aber von sich sagen, sie folgen meinem Kanal, wollen ihre Bücher für sich und teilweise andere signiert haben. Ich erfülle diese Wünsche und versuche so präsent wie möglich dabei zu sein, um zu erspüren, wie es mir dabei geht. Als die Besucher der Lesung den Saal verlassen haben, erzähle ich meinen mitgereisten Freunden, die die Lesung aufgezeichnet haben, dass ich mich beim Signieren nicht wohl fühle und ich den Eindruck habe, dass das Signieren dafür stehen könnte, dem vermeintlichen „Star“ nahe gewesen zu sein. Da ich nicht einschätzen kann, wie es sich für andere Menschen anfühlt, die Bücher signieren oder Unterschriften erbitten, kann ich mich diesbezüglich nur auf meine Empfindungen verlassen. Nichts liegt mir daher ferner als eine Ferndiagnose anderer.
Die Rückmeldung meiner Freunde gehen in eine ähnliche Richtung. In mir verstärkt sich die Einsicht, dass ich keine Bücher signieren möchte.
Die Münchener Probe
Die zweite Lesung meines Buch findet in München, ganz in der Nähe des Massel Verlages statt. Ein wundervoller Abend mit Live-Musik und einem Redekreis, in welchem Fragen und Beiträge der Gäste Platz haben. Zum Abschluss ertönt ein wundervolles französisches Lied mit dem Titel „Dánser ecore“, welches in Zeiten der Lockdowns eine Art Hymne der Protestbewegung war. Der Stuhlkreis füllt sich mit tanzenden und singenden Menschen. Als die Musik abebbt, wird der Abend offiziell beendet und ich sitze am Rande des Kreises, nahe eines Pianos.
Wieder entdecke ich im Augenwinkel Menschen, die sich mir mit Büchern in den Händen nähern und mir wird klar, was jetzt kommt: Die Signierstunde!
Dieses Mal bin ich nicht perfekt aber besser vorbereitet und kann mehreren Menschen gelassen erklären, dass ich keine Bücher signiere. Aber das Leben will wissen, ob ich mir sicher bin. Es schickt eine ältere Dame, die eindringlich darum bittet, ihr Buch zu signieren. Ich erkläre auch ihr meine Beweggründe. Sie erwidert, dass ich ihr nur „irgendein Zeichen“ im Buch hinterlassen solle, welches Sie mit diesem Abend in Verbindung bringe. Sie bleibt hartnäckig und fordert mich indirekt dazu auf zu prüfen, wie standhaft ich in meinem Entschluss, Bücher nicht zu signieren, bin. Ich bleibe dabei und erzähle ihr, dass das Verbindende dieses Abend in dem gemeinsamen Erlebten zu finden ist und weniger in einer Signatur. Ich ehre ihren Wunsch, ohne ihn zu erfüllen und sie sagt daraufhin, dass sie es auch respektieren werde, wenn ich Nein sage. Das tue ich und wir können uns mit einem breiten Lachen voneinander verabschieden. Ich fühle mich deutlich besser als bei meiner ersten Lesung und bin erfreut über die sehr heitere Stimmung im Raum.
Beifall in der Kirche
Meine dritte Lesung findet auf Einladung des Pfarrer Thomas Dietz in einer Kirche nahe Prenzlau statt. Seine Kirche hat in den letzten 2,5 Jahren schon einige Kritiker der Corona-Maßnahmen beherbergt und am 5. Oktober 2022 sitze ich das erste Mal in meinem Leben in einer Kirche um aus meinem Buch zu lesen. Pfarrer Dietz eröffnet den Abend mit Gebet, Worten des Dankes und Auszügen aus der Rede des Häuptling Seattle, welche thematisch sehr gut zu den indigenen Weisheiten in meinem Buch passen. Die Worte des Pfarrers öffnen den Raum und versetzen die Zuhörer in einen Zustand von Andacht und Dankbarkeit. Bis auf Begriffe wie Herrschaft und das subtile Vorhandensein von Schuld in manchen Passagen seiner Rede empfinde ich seine Einführung als sehr gelungen. Schon im Vorgespräch wies ich den Pfarrer darauf hin, dass ich keine Bücher signiere, woraufhin er mich im Spaß fragte, ob ich es tun würde, wenn ich die Bücher für 50ct mehr verkaufe.
Nach einer wunderbaren Lesung, von der auch die Lokalpresse durchaus positiv berichtet, bemerkt der Pfarrer vor seinen abschließenden Worten , dass der Autor keine Bücher signieren werde, auch nicht für einen Aufpreis von 50ct. Nach einem kurzen Augenblick der Ruhe und ein wenig Gelächter ertönt von der Seite des Raumes ein kleiner Beifall von ein paar Menschen, die scheinbar Gefallen daran finden, dass es keine signierten Bücher gibt. Nachdem die Lesung vorbei ist und die Gemeinde und ich Geschenke ausgetauscht haben, begebe ich mich zu meinem Buchtisch. Dort erlebe ich wunderbare Gespräche, interessierte Fragen und anregende Dialoge, für die ich sehr dankbar bin. Auch eine kleine Diskussion zur nicht stattfindenden Signierstunde führe ich mit einem Besucher, welcher der Meinung ist, eine Unterschrift würde dem Druckprodukt eine individuelle Note geben. Ich verstehe sein Anliegen und bleibe dabei, dass ich meine Bücher nicht signiere. Daraus entsteht ein interessantes Gespräch mit anderen über das Potenzial von Personenkult und der Tendenz Menschen zu stark zu Führungspersönlichkeiten zu idealisieren und dabei Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben.
Fazit
Mancher wird sagen, dass eine Unterschrift in einem Buch kein großes Thema ist und meine Spurensuche zu diesem Thema als übertrieben empfinden. Das kann ich nachvollziehen. Für mich war es eine lohnenswerte Reise, da ich nun einen für mich stimmigen Weg gefunden habe. Ich bin der Meinung, dass in unserer Gesellschaft häufig und teils unbemerkt Strukturen entstehen, in welchen Menschen zu Idolen hochstilisiert werden, um als Projektionsfläche für übertriebene Hoffnungen zu dienen. Generell besteht eine gewisse Tendenz zu Personenkult. Ich denke, dass es hilfreich ist, so viel Hierarchien und Überhöhungen wie möglich abzubauen, um als gleichwertige Mitglieder einer Gemeinschaft auf Augenhöhe miteinander die Zukunft zu gestalten. Um das zu erreichen finde ich es wichtig darauf zu achten, wann und wie Möglichkeiten für Projektion und Personenkult entstehen. Das Signieren von Büchern könnte eine solche Situation sein, weshalb ich dank einer Inspiration von Außen und dem eigenen Ausprobieren dabei bleibe, meine Bücher nicht zu signieren.