Das Jahr in der Wildnis war eine Reise in eine Welt, die mir unbekannt war. Mein Weltbild über die Natur und über mich hat sich verwandelt und es brauchte das volle Eintauchen in das Clanleben der ursprünglichen Lebensweise, damit das passieren konnte. Die ständige, sehr direkte und sinnliche Verbindung zum sich immerfort verändernden Fluss der Natur haben mir sehr dabei geholfen meine nicht-menschlichen Verwandten und auch mich selber wahrzunehmen. So begann ich wieder zu erwachen und merkte, dass es noch viel über mich zu entdecken gibt. Manchmal war die Zeit sehr herausfordernd, weil es mir so schwerfiel intime und gesunde Lang-Zeit-Beziehungen zu führen. Ein enormer Aufwand an Heilungsarbeit war notwendig, um diese alten angstbasierten Gewohnheiten zu ändern. Diese Herausforderung brachte mich an und manchmal über meine Grenzen hinaus.

Einführung

Der Grund und die Motivation für die Entscheidung ein Jahr die Zivilisation zu verlassen und in die ursprüngliche, erdnahe Lebensweise einzutauchen war sehr einfach. Es war klar, dass ich die über mehrere Jahre erlernten Wildnisfertigkeiten wirklich leben wollte und es war auch klar, dass es etwas in mir gibt, was mich davon abhält, gesunde Beziehungen zu anderen und zu mir zu führen. Deshalb bin ich voller Vorfreude und auch Anspannung als ich mit dem Kanu auf dem See nach Süden fahre und mir klar wird, mit welchen Leuten ich das nächste Jahr verbringen werde. Wir leben als Clan und sind permanent in der Wildnis von Wisconsin bei der Teaching Drum Outdoor School. Unsere Guides sind Tamarack Song, seine Frau Lety und Chris Bean. Unsere Lehrer sind die Tier- und Pflanzenleute, die Elemente und unser Clan. In diesem Jahr lernten wir, was es bedeutet, den natürlichen Rhythmen zu folgen und sich ihnen anzupassen. Wir lernten, dass sich ein Native(ursprünglich lebender Jäger und Sammler)  seiner Umwelt sehr gewahr ist und ihrem Ruf folgt, um die Bedürfnisse seines Clans zu befriedigen.

Das Sommercamp mit Birkenrinden-WigWam

Wir lernen, dass um komfortabel draußen zu leben, wir auf uns Acht geben müssen und dass wir uns anpassen müssen. Die alte Vorstellung von Kontrolle über die Umwelt funktioniert nicht und uns wird klar, dass wenn wir spontan und flexibel sind und dem Lied des Waldes lauschen, dann können wir bei jedem Wetter komfortabel im Wald leben. Jeden Tag sammeln wir Essen, fischen, stellen Fallen, machen Feuer ohne Streichhölzer, bauen Wig-Wams, sammeln Holz, gerben Leder und so vieles mehr. Die Fähigkeiten werden ein Teil von uns und wir bauen intensive Beziehungen zu unserer Umgebung auf. Endlich kann ich diese Fertigkeiten im wahren Leben erfahren, anstatt in Seminaren und Workshops. Plötzlich wird mir klar, dass jede einzelne Fähigkeit nicht alleine existiert, sondern mit dem großen Netz der Natur verbunden ist. Um Feuer mit dem Drillbogen zu machen, muss ich meine Augen unterwegs offenhalten und die Baumarten und Holzunterschiede kennen. Für die Schnüre des Bogens brauche ich Schnur, welche ich wiederum entweder aus den passenden Pflanzen zur passenden Jahreszeit, geeigneten Wurzeln oder von einer Tierhaut herstellen kann. All die Skills sind miteinander und der Umwelt verbunden und ergeben ein vielfältiges Netz an Interdependenz

Gesundes Wildnisleben im Clan

Schnell wird klar, dass Kommunikation und funktionierendes Zusammenleben die Basis von Survival sind. Truthspeaking – die Sprache des Herzens, hilft uns dabei, im Augenblick auf respektvolle Art zu sagen, wie es uns geht oder was wir denken. Es ist ein langer Prozess, sich von den alten ungesunden und destruktiven Kommunikationsmustern zu lösen und es bedarf der Unterstützung des gesamten Clans. Es ist so ungewohnt seine Gefühle spontan und direkt zu äußern, da ich eine Jahre lang Konditionierung hinter mir habe, bei der es darum ging, Wut, Ärger und Trauer aber auch Freude nicht zur Fülle und vor allem nicht im Moment auszudrücken, sondern sie herunterzuschlucken. Nun, da wir eingebettet in die Tier- und Pflanzenwelt leben, erleben wir jeden Tag ihr Vorbild. Sie drücken sich spontan und im Augenblick aus und sprechen ihre Wahrheit. Das Eichhörnchen, welches mich beim Fallen stellen entdeckt, drückt sich lautstark aus und auch die Vögel des Waldes drücken Ärger (Alarm) oder Freude (Gesang) direkt und mit Fülle aus. Ein weiteres Beispiel für die Lehren, die wir von unseren Beziehungen mit der Natur erhalten können – wenn wir zuhören.

Jeden Tag mit dem Kanu unterwegs

Aufmerksames Zuhören wird bei dem Wort Kommunikation oft vergessen. Wirklich präsent zu sein und dem Gegenüber vom Herzen zuhören, anstatt ihn zu bewerten, wird eine tägliche Übung im Clanleben. Immer mehr öffnen sich meine Sinne und es ist mir möglich die feinen Botschaften des Waldes wahrzunehmen und auch die Herzensbotschaften meiner Clanmitglileder. Dadurch wächst das Vertrauen in der Gruppe und Gefühle und Gedanken werden nicht mehr hinterm Berg gehalten, sondern respektvoll angesprochen. So machen wir uns auf den Weg ein Clan im Gleichgewicht zu werden.

Eigene alte Verhaltensmuster werden immer deutlicher sichtbar und mithilfe von Zeichen machen wir uns untereinander auf Opfer- und Ermöglicherverhalten aufmerksam. Dabei geht es darum, dass sich durch frühere Erfahrungen eine Haltung in der eigenen Persönlichkeit gefestigt hat, die sich machtlos, hilflos und ohnmächtig fühlt – das Opfer. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch die Rolle des Ermöglichers, der sich so sehr um andere und deren Belange kümmert und auch das „Opfer“ gerne aus misslichen Lagen rettet, dass er seine eigene Herzensstimme und Leidenschaft dabei vergisst. Die Identifizierung mit diesen Mustern ist eine große Herausforderung, da ich sie als meine Persönlichkeit wahrnehme. Sie sind aber nur alte, angstbasierte, antrainierte Schutzverhalten, die mir jetzt nicht mehr helfen, sondern meine Beziehungsfähigkeit stören. Über das ganze Jahr arbeiten wir an der Wahrnehmung dieser Automatismen und der Wiederentdeckung unseres natürlichen und spontanen Selbst

Der Wandel der Jahreszeiten

Das Wintercamp mit Lean-To und Wigwam

Wir erleben den Wechsel der Jahreszeiten und es entsteht eine tiefe Verbindung zum Land uns seinen Bewohnern. Wir kommen wirklich in der Wildnis an und werden zu einem Teil des großen Netzes. Wir verstehen die Schönheit und den Überfluss, die vor unseren Augen sind und langsam finden tiefgreifende Transformationen statt.

Der sehr aktive Sommer, in dem wir Beeren gesammelt, Unterkünfte gebaut und Leder gegerbt haben geht langsam vorbei. Unser Clan besteht nun nur noch aus 4 Leuten, da 3 von den ursprünglich 7 die Wildnis verlassen haben. Wir sind nun magerer, jedoch stärker, da wir 4 wirklich hier sein wollen und das Abenteuer durchleben wollen. Mit dem nahenden Herbst kommen kältere Nächte und die Vorahnung des Winters. Der Übergang zur wießen Jahreszeit geht ziemlich schnell und in Eile reparieren wir die Winterhütte, die uns für die dunkle Jahreszeit ein wohliges Zu Hause sein soll. Mit dem Winter kommt die warme Decke aus Schnee und das Leben im Wald verändert sich. Eine der großen Herausforderungen besteht darin, sich an diese Veränderung anzupassen. Nun kann ich nicht mehr im See schwimmen gehen, um mich zu waschen oder im Kanu raus fahren, um auf der anderen Seite des Sees Beeren zu sammeln. Besonders das Schneebaden ist am Anfang eine Überwindung. In unserem Winter Wig-Wam können wir Feuer machen und so können wir nackt aus der Hütte herausspringen uns mit Schnee abrubbeln und dann schnelle wieder zurück ins Warme krabbeln. Bei Temperaturen um die Minus 30 Grad ist das echt belebend und erfrischend.

Die Nächte werden länger und genauso wie in der Natur richtet sich unser Fokus auf die Innenschau. Die neuen Wahrnehmungen über Verhaltensmuster und Gefühle können nun mithilfe der Traumarbeit vertieft werden. Über mehrere Monde lernen wir die Sprache der Träume zu hören und zu verstehen. Sie machen uns auf Unbewusstes aufmerksam und helfen uns dabei unsere angetretene Heilungsreise weiterzugehen. Jeden Morgen teilen wir unsere Träume im Clan miteinander und so können wir uns bei der Umsetzung unsere Heilungsprozesse unterstützen. Es ist die Zeit der inneren und äußeren Spurensuche, da wir jeden Tag unseren Tierverwandten folgen, um an ihren Spuren zu erkennen, wie sie sich verhalten. Besonders die Wolfsrudel haben unser Interesse geweckt, da wir interessiert an ihrem Zusammenleben sind. Viele Tage folgen wir ihren Fährten und erkennen wie sie in einer Linie, Pfote in Pfote in völliger Harmonie durch den Wald gleiten.

Schneehütte und Erbauer

Es ist einer der längsten und kältesten Winter und wir verlassen unsere Winterhütte, um zu lernen uns ein Schneecamp zu errichten. Mit unserer Grundausstattung ziehen wir los und bauen Schneehütten und ein Lean-To. Für einen weiteren Mond leben wir an einem neuen Ort und verabschieden uns langsam von der Wildnis. Ein weiteres Mal lernen wir, dass uns die Erde versorgt, wenn wir uns leer machen und schaffen es auch im Schneecamp komfortabel zu leben. Es beginnt die Zeit des Übergangs, in der wir mithilfe unserer Guides lernen, wie wir das Erfahrene in die Zukunft integrieren können. Meine Sehnsüchte nach der Zivilisation werden stärker und das so lang Vermisste rückt immer näher. Freunde, Familie; Bekannte, Schokolade, Pizza und so vieles mehr haben mich mental oft beschäftigt und nun weiß ich, dass ich es bald wieder haben werde. Es ist ein aufregender, gespannter und freudiger Morgen, als wir uns auf den Weg zurück in die Zivilisation begeben. Alle Seen sind noch zugefroren und wir marschieren mit einer Vorfreude und Trauer durch die Wildnis, die uns versorgt und genährt hat. Ein Jahr voller Verbundenheit und inneren Wachstums geht vorbei und als wir zurück in der Schule ankommen, begrüßt man uns und langsam realisieren wir, dass es wirklich vorüber ist. Wir sind zurück und alles ist anders. Wie sehr hat sich meine Wahrnehmung und mein Weltbild geändert. Erst jetzt im Spiegel des Bekannten erkenne ich meine Veränderung und langsam wird eines klar, das Jahr ist vorbei, aber das neue Leben fängt gerade erst an.

Prolog

Der Woodbury Lake

“Das Jahr in der Wildnis war eine Reise in eine Welt, die mir unbekannt war. Mein Weltbild über die Natur und über mich hat sich verwandelt und es brauchte das volle Eintauchen in das Clanleben der ursprünglichen Lebensweise, damit das passieren konnte. Die ständige, sehr direkte und sinnliche Verbindung zum sich immerfort verändernden Fluss der Natur haben mir sehr dabei geholfen meine nicht-menschlichen Verwandten und auch mich selber wahrzunehmen. So begann ich wieder zu erwachen und merkte, dass es noch viel über mich zu entdecken gibt. Manchmal war die Zeit sehr herausfordernd, weil es mir so schwerfiel intime und gesunde Lang-Zeit-Beziehungen zu führen. Ein enormer Aufwand an Heilungsarbeit war notwendig, um diese alten angstbasierten Gewohnheiten zu ändern. Diese Herausforderung brachte mich an und manchmal über meine Grenzen hinaus.

Jedoch brachte es eines der größten Geschenke meines Lebens: Ich begann zu verstehen, dass ich für mein Leben(Gefühle, Beziehungen, etc…) die Verantwortung trage und dass ich die Veränderungen machen kann, die ich brauche, um ein gesundes und erfülltes Leben zu führen. Es wurde mir klar, dass ich mich dafür mit den Leuten(Pflanzen, Tieren, Menschen, Steinen) umgeben muss, die ich als gesund und unterstützend betrachte. Auf die “alte” Art und Weise zu leben hilf mir zu verstehen, was Lernen bedeutet und es hat inspirierte mich dazu die Fertigkeiten zu üben, da sie mich direkt mit den Bedürfnissen meines Lebens verbinden.

Ich fühle mich dankbar, beschenkt und geehrt und freue mich all diese Geschenke erhalten zu haben. Das Leben in der Wildnis hat mein Leben grundlegend geändert und mir dabei geholfen, ein Leben zu leben, bei dem ich erfüllter, verbundener und mehr im Moment bin.

Zuerst erschienen im Sein Magazin: https://www.sein.de/

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