Trotz heftigem Bürgerprotest wurde vor der Insel Rügen kürzlich mit dem Bau einer Infrastruktur für den Import von Flüssigerdgas (LNG) begonnen. Die angebliche Notwendigkeit für das LNG-Terminal ist äusserst zweifelhaft. Ausgangspunkt war die politische Entscheidung der Bundesregierung, sich langfristig von russischer Energie unabhängig machen zu wollen sowie die Sprengung von drei der vier Nord-Stream-Pipelines.
Im Sommer 2022 erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck eine nationale Gasmangellage, was die rechtliche Grundlage für eine beschleunigte Errichtung der LNG-Infrastruktur vor Rügen ermöglicht. Doch die faktische Grundlage für den erklärten Gasnotstand ist dünn beziehungsweise nicht vorhanden. Das meint jedenfalls mein Gesprächspartner Kai Gardeja, der Tourismusdirektor des Rügener Ostseebades Binz.
Eine kürzlich erschienene Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt laut einem NDR-Artikel zu dem Schluss, dass das LNG-Terminal weder „notwendig noch kosteneffizient“ ist.
In seiner Stellungnahme vor dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie des deutschen Bundestages im Sommer 2023 fasst Gardeja die Kritik an dem Vorhaben zusammen. In einem aktuellen Interview spricht er bezüglich der Umsetzung des LNG-Vorhabens von „mehrfachen Rechts- und Versprechensbruch“ seitens der Politik.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Energiepolitik des grün geführten Wirtschaftsministeriums ist die enorme Klimaschädlichkeit des Frackinggases, welches zum Teil aus den USA importiert wird. Im Januar 2024 beendete der US-Präsident Biden unerwartet den Export von LNG-Gas. Deutschland muss nun nach neuen Importmöglichkeiten suchen, um die Energieversorgung sicherzustellen.
Durch das LNG-Beschleunigungsgetz war es möglich, das Bauprojekt ohne Einhaltung normaler Prüfvorgänge und ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu beginnen. Mit dem Beginn der Bauarbeiten verstärkte sich jedoch zugleich der Protest der Anwohner inklusive vieler Bürgermeister der Insel. Auch große Naturschutzorganisationen wie NABU Deutschland und WWF Deutschland beteiligten sich an dem Protest gegen die Errichtung des Terminals.
Doch trotz massiver Proteste wurden Kritiker kaum angehört; die bei derartigen Großvorhaben vorgesehene Bürgerbeteiligung fand de facto nicht statt. Und nachdem klar wurde, dass demokratische Mittel wie Bürgerinitiativen, Petitionen und offene Briefe keinerlei Wirkung entfalten, entstand in der ansässigen Bevölkerung zunehmend ein Gefühl der Ohnmacht und ein enormer Vertrauensverlust in die Politik. Kai Gardeja war hautnah dabei und erläutert in unserem Gespräch unter anderem, wie sehr sich die Inselbevölkerung bemüht hat, Gehör bei der Politik zu finden. Trotz der bisherigen Rückschläge bleiben die Menschen vor Ort aktiv und engagieren sich weiterhin für den Erhalt der Natur rund um die Insel Rügen.
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- LNG: Schmutziges Flüssiggas (NDR-Doku)
- DIW-Studie: LNG-Ausbau vor Rügen weder notwendig noch kosteneffizient
- Deutscher Bundestag: Stellungnahme des Sachverständigen Kai Gardeja, Tourismusdirektor des Ostseebad Binz