Zusammen mit Facilitatorin Ines Wimmer begebe ich mich auf Spurensuche nach natürlicher Führungskompetenz & eigener Naturverbundenheit. In Vorbereitung auf unser gemeinsames Seminar zum Thema Führung haben Ines und ich ein paar Gedanken zu diesem Thema niedergeschrieben. Viel Freude beim Lesen

Unser Seminar für Führungskräfte findet vom 31. August – 2. September statt.

indigene Führung

Aufgrund meiner Wildniserfahrung habe ich viele Monate in Gemeinschaft und im direkten Kontakt mit der Natur gelebt. Für mich war und ist es normal, dass eine Gruppe, die aufeinander und auf die Natur angewiesen ist, gemeinsam Lösungen finden muss, die für alle tragbar sind. Dabei ist sowohl die Natur als auch die “Schwarmintelligenz” der Gruppe die Führungskraft. Bezogen auf das Leben im Wald ist es sicherlich von großer Bedeutung in der Lage zu sein, die Zeichen der Natur zu lesen und zu verstehen. Nur so ist es möglich den sich wandelnden Rhythmen der Natur und ihrer subtilen Führung zu folgen. Und genau das ist die wichtigste Fähigkeit für das Leben in der Natur: Sich der Natur anpassen! Natürlich braucht es auch menschliche Führung. Ganz entgegen meiner Prägung durch Elternhaus und Schule habe ich im Wald erleben dürfen, dass es keine permanente Führungskraft braucht, sondern ein Bewusstsein der Gruppe dafür, dass jede Situation andere Qualitäten erfordert. Je nach Situation schlüpfen verschiedene Person für eine Weile in die Führungsrolle, da sie die aktuell notwendigen Fertigkeiten dafür inne haben. Wenn die Situation sich wandelt und jemand anderes das stimmige Gespür, einen guten Überblick oder eine blendende Idee hat, wechselt die Führungsrolle spontan und lebendig. Diese Art von dynamischer und gemeinschaftlicher Führung, die aus den Kompetenzen des Einzelnen erwächst, habe ich als kraft- und respektvoll erlebt. Sie erinnert mich an den Zug der Gänse, in dem ein permanenter Wechsel der Zugspitze vollzogen wird, um das große und herausfordernde Abenteuer dieser Reise zu schaffen.

In meiner Gemeinschaft hat Führungskraft – bei uns bekleiden Männer und Frauen das Amt eines Führers oder einer Führerin – mit der Fertigkeit zu tun, wie gut diese Person jedem zuhören kann und wie diese Person versteht, welche Dinge ablaufen, die vielleicht falsch sind oder Konflikte auslösen können und deshalb eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen. Unser Wort für Führer*in bedeutet jemand zu sein, der viele Fäden zusammenhalten kann und diese in einen Strang verknüpfen kann. Ein Strang bedeutet dabei eine “One people” und Einigkeit im Gleichgewicht mit dem Land. Es bedeutet, dass diese Person eine besondere Fähigkeit dafür haben muss zu fühlen, was die Gemeinschaft sagt, eine besondere Fähigkeit zu verstehen, was gesagt wurde und zu wissen, welche Dinge gerade ablaufen, um all das zusammenzufassen und es den Menschen zu erzählen. Es geht also um Kommunikation und darum in der Lage zu sein zuzuhören, um es dann für andere verständlich zusammenzufassen. So, dass diese dann sagen können:” Ja! Das ist es.” Es geht nicht darum, anderen zu sagen, was sie zu tun haben oder andere zu führen oder zu zwingen. Es geht darum das zu versprachlichen und gesammelt auszudrücken, was die Gemeinschaft fühlt, denkt und erinnert und daraus ein Voranschreiten möglich zu machen. Unser System verlässt sich auf diese Art der Wechselbeziehung und diese Art der Kommunikation”

Dr. Jeannette Armstrong, The four chiefs Enowkinwix Discourse

Ein gutes Beispiel indigener Führungsqualitäten in der modernen Zeit ist die sehr aktuelle Rede des bolivianischen Vizepräsidenten.

https://blog.bastian-barucker.de/2021/01/03/rede-des-bolivianischen-vizepraesidenten/

Mir ist es ein Anliegen, dass Führung dynamisch und gemeinschaftlich sein darf und damit die besten Lösungen für alle gefunden werden. Ich erlebe Führungskräfte zurzeit oftmals stark unter dem Druck, Antworten haben oder immer Entscheidungen treffen zu müssen. Ich kenne diesen Druck selber auch. Für mich liegt der Schlüssel zu natürlicher Führung in einem Paradigmenwechsel, in dem wir uns dem oben genannten nativen Prinzipien wieder annähern. Dafür braucht es den mutigen Schritt sich von der Halt gebenden, alten Rolle der allwissenden und leitenden Führungskraft zu verabschieden und sich auf Neues einzulassen. Dieses Neue ist eigentlich uralt, denn es ist das Wissen indigener Völker, deren Existenz davon abhängig war, dass nachhaltige Entscheidungen getroffen wurden. Dafür braucht es auf der einen Seite die Fähigkeit alle Ideen und Anliegen der Menschen zu hören und zu integrieren und den dafür notwendigen, offenen Raum zu erschaffen und auf der anderen Seite braucht es Menschen (Mitarbeiter), die nicht nach einem Führer suchen, der ihnen sagt, was sie tun sollen und was das Beste ist. Es braucht, auch im Arbeitskontext, Menschen, die sich auf Augenhöhe miteinander begegnen ,sich respektvoll und ehrlich austauschen und sich selbstbewusst mit ihren Ideen und Vorschlägen einbringen, ohne die Annahme, dass jemand anderes es per se besser wüsste. Mithilfe dieser Art und Weise der Führung können sich alle Anwesenden gewertschätzt fühlen, sich kreativ und lebendig einbringen und immer wieder auf die Kraft und Kompetenz der Gemeinschaft verlassen. Hiermit übergebe ich das Wort an Ines.

Ines Wimmer

Ein tolles Wort: Führungskraft. Jemand der besonders kraftvoll führt. Kraft der Führung. Führung mit Kraft.

A leader in every chair

Ich lebe und arbeite mit der Grundhaltung, dass wir alle Führungskräfte sind. Wir führen unser eigenes Leben. Wenn es gut läuft, mit Kraft. Wir tragen Verantwortung für unser Handeln. Ob wir es gut finden oder nicht, wir sind für uns verantwortlich. A leader in every chair, wie es die Methode The Circle Way ausdrückt. Oft hat dieser Gedanke für mich etwas Befreiendes, denn diese Selbstführung ist essentieller Teil des Mensch-Sein. Gleichzeitig verstehe ich, dass er auch beängstigend sein kann. Führung (und damit Verantwortung) für sich zu übernehmen, ist nicht immer einfach. Die letzten Zeilen des Gedichtes Invictus von William Ernest Henley bringen für mich die Selbstführung mit einen solchen Kraft zum Ausdruck, dass es mir unter die Haut geht. Bekannt geworden ist das Gedicht durch Nelson Mandela, den es während seiner 27 Jahren Gefangenschaft begleitete.

Invictus (Unbezwungen)

Aus finstrer Nacht, die mich umragt,
durch Dunkelheit mein‘ Geist ich quäl.
Ich dank, welch Gott es geben mag,
dass unbezwungn ist meine Seel.

Trotz Pein, die mir das Leben war,
man sah kein Zucken, sah kein Toben.
Des Schicksals Schläg in großer Schar.
Mein Haupt voll Blut, doch stets erhobn.

Jenseits dies Orts voll Zorn und Tränen,
ragt auf der Alp der Schattenwelt.
Stets finden mich der Welt Hyänen.
Die Furcht an meinem Ich zerschellt.

Egal wie schmal das Tor wie groß,
wieviel Bestrafung Ich auch zähl.
Ich bin der Meister meines Los.
Ich bin der Captain meiner Seel.

(veröffentlicht 1875, deutsche Übersetzung)

Die Führungskraft als Hüter des Raumes

Natürlich gibt es auch die klassische Definition einer Führungskraft, die wir auch meist meinen, wenn wir das Wort verwenden. Eine Führungskraft als die Person, die Personal führt und das Management von Prozessen inne hat.

Vor dem Hintergrund der Selbstführung, haben für mich Führungskräfte nach dem klassischen Verständnis eine ganz besondere Chance: Ihre Mitarbeitenden in ihrer Selbstführung zu fördern. Die Führungskraft als die Person, die einen Raum kreiert, in dem Wachstum des Einzelnen stattfinden kann. Die Führungskraft als Hüter des Raumes, der Entwicklung und Entfaltung ermöglicht. Mit Raum ist hier ein atmosphärischer Raum gemeint – die geistige Vorstellung, in einem geschützten, respektvollem Miteinander zu sein. Die Führungskraft gewissermaßen als Gastgeber, als Host, um ein echtes Miteinander zu ermöglichen. Diese Rolle entspricht nicht unbedingt unserem klassischen Verständnis. Und doch hat unsere Spezies viel Erfahrung damit: zu anderen Zeiten, in anderen Regionen dieser Erde, und in uns unerwarteten Kontexten – wie der der Natur. Natur ermöglicht so vieles, was uns Menschen ein Bedürfnis ist. Sie hört uns zu, ganz kommentar- und vorbehaltlos. Ebenso lässt sie uns leise werden und lehrt uns das Zuhören. So zeigt sie uns einen achtsamen Austausch mit uns und unserer Umwelt. Die Begegnung mit sich selbst, ist in der Natur oft unausweichlich.

Die Einzigartigkeit und Sinnhaftigkeit des einzelnen Wesens auf der einen, und die filigrane, meisterhafte Vernetzung allen Seins auf der anderen Seite, ist meines Erachtens nur in der Natur so wunderbar sichtbar.

Lassen wir uns ein auf die Reise mit der Meisterin der Raumhüter – der Natur.

Denn wir sind Meister unseres Los, Captain unserer Seel.

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