In der fortschreitenden Digitalisierung und mit stetig schneller werdenden Informationsflüssen steigt das Aufkommen an Artikeln und Beiträgen pro Woche rapide an. Immer seltener konsumieren Menschen Informationen in Ruhe und Bewusstheit, um den Inhalt des Geschriebenen wirklich einsinken lassen zu können. Mir selber geht es so, dass ich im Strom digitaler Nachrichten manchmal den Zugang zu reflektiertem und bewusstem Medienkonsum verliere. Manche Texte verdienen es jedoch in voller Aufmerksamkeit gelesen zu werden, damit sie einen Nachhall im Leser bewirken können.
„Ich will kluge Gedanken nicht auf einem Smartphone lesen. Ich will nicht vom Sog der Bilder, Kurznachrichten und YouTube-Videos runter gezogen werden. Und ich will auch nicht mit meinem digitalen Konsum gerade die Konzerne füttern, die die Unfreiheit weiter zementieren. Aber ich will natürlich an demokratischen Debatten teilhaben, Argumente für und wider hören und meinen eigenen Verstand an ihnen schärfen.„
https://nachhall.net/ichhelfegern/
Deshalb unterstütze ich von Anfang das neue und analoge Presseecho Nachhall. Eine weitere Besonderheit dieser Artikelsammlung, die alle 14 Tage auf wunderschönem Papier und hochwertig gestaltet, in mein Haus flattert ist die vorübergehende Entkopplung von Inhalt und Autor.
„Unser Presseecho ist anders / Du liest ohne zu wissen / wer einen Text geschrieben hat / wo er erschienen ist // Du kannst die Gedanken / befreit aufnehmen / Dir deine eigene Meinung bilden.“
https://nachhall.net/
„Die Grundlage der Demokratie ist die Trennung von Sprecher und Argument.“
Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin
Besonders im letzten Jahr ist mir aufgefallen, dass es eine Tendenz gibt Inhalte aufgrund des Autors zu bewerten, anstatt sich voll und ganz der Fakten oder Meinung zu widmen, die präsentiert werden. Das bedeutet nicht, dass es nicht relevant ist, wer etwas schreibt, aber manchmal scheint es so, als ob das Wissen um den Autor den Inhalt zu stark beeinflusst. Im Nachhall Magazin lese ich in jeder Ausgabe sehr interessante Artikel zu Themen wie Bildung, Frieden, Politik, Medien, Gesellschaft und mehr. Doch ich weiß nie, wer diesen Text verfasst hat. Am Anfang beschlich mich ein Gefühl der Angst dabei, einen Text zu lesen, ohne zu wissen, wer ihn geschrieben hat. Meine Angst sprach folgende Sätze: „Was, wenn ich einen Artikel von einer Person gut fand, die ich nicht mag, oder wenn der Autor einer politischen Strömung angehört, die mir nicht zusagt oder verpönt ist. Ich empfinde es in Zeiten des Schubladendenkens und der Kontaktschuld als ein kleines intellektuelles Abenteuer, mich darauf einzulassen, vorerst nicht zu wissen, wer das geschrieben hat, was ich lese. Die Autoren der Artikel werden jeweils in der folgenden Ausgabe veröffentlicht und ermöglichen es dann Autor und Quelle des Artikels zu erfahren. Nach 3 Ausgaben analogem und anonymisierten Pressekonsum bin ich überzeugt davon, dass Nachhall für Freunde des bewussten Medienkonsums eine echte Bereicherung sein kann. Die Vision, die mit Nachhall verknüpft ist, spricht mich an, da ich selber besonders in Corona Zeiten für Dialog geworben habe.
„Visionen für eine bessere Zukunft / jeder Menschen hat Stimme und Würde / ein Recht auf liebevolle Debatten // Fragen stellen, wo niemand fragt / Antworten ohne Angst suchen / quer nach selbst denken / für Meinungsfreiheit und -vielfalt“
https://nachhall.net/
Ich habe Herausgeber Martin Sell zu Nachhall befragt, um herauszufinden, wie er auf die Idee kam und was er sich von diesem Projekt erhofft.
Bastian Barucker: Wie reifte der Gedanke und dann der Wunsch Nachhall ins Leben zu rufen?
Martin Sell: Die Idee zu Nachhall ist schon etliche Jahre alt. Immer wieder bin ich über interessante Beiträge im Netz gestolpert, die ich gerne in Ruhe gelesen hätte. Oft haben mich Gedanken länger beschäftigt, und ich wollte sie zu einer späteren Zeit nochmal lesen, doch dann fand ich sie oft nicht mehr… Außerdem fasziniert mich die Meinungsvielfalt im Internet, aber es ist nicht immer leicht, diesen Schatz auch zu heben. So wünschte ich mir eine Sammlung, die diese Vielfalt des Netzes einfängt und haltbar macht. Digitale Texte können dann in der Freizeit offline nachhallen.
Wieso hast du dich dafür entschieden, die Artikel und die Identität der Autoren zu entkoppeln?
Das Konzept, zuerst den Gedanken auf die Bühne zu lassen und erst später den Urheber vorzustellen, kam mir erst Anfang des Jahres 2021, nachdem die Corona-Pandemie schon lange wütete. Eine der letzten Veranstaltungen vor Corona, die ich mit meiner Frau besuchen konnte, war ein Gesprächsabend mit Christo. Seitdem hängt er bei uns im Treppenhaus. Die Reichstagsverhüllung hat mich schon damals sehr inspiriert. Jetzt schien mir plötzlich diese Kunst, etwas sichtbar zu machen, indem man es verhüllt, einen tieferen Sinn zu ergeben. Viele gute Argumente wollen wir nicht hören, weil sie aus dem vermeintlich falschen politischen Lager kommen. Es hat mich schon immer wahnsinnig geärgert, wenn eine gute Idee der SPD von der regierenden CDU ignoriert oder abgelehnt wurde. Der Koalitionszwang tut nicht gut. Gerade bei wichtigen Zukunftsthemen sollten die Volksvertreter frei entscheiden und sich überparteiliche Lösungen finden lassen.
Du besitzt eine Digital- und Designagentur. Warum hast du Nachhall bewusst als analoges Presseecho entworfen?
Als Schüler und Student habe ich viel geschrieben und Druckerzeugnisse gestaltet. Damals war das Internet noch kein Thema. Dann habe ich aber als Studienschwerpunkt Fernsehen gewählt, weil sich mit keinem anderen Medium Geschichten so gut erzählen lassen. Meine ersten Jahre im Beruf habe ich begeistert dem Dokumentarfilm gewidmet. In diesen 10 Jahren haben ich tiefe Einblicke in die Arbeitsweise des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erhalten. Leider musste ich auch feststellen, dass die zunehmende Formatierung der Sendeplätze und der privatwirtschaftliche Einfluss die Qualität zu Lasten der Quantität an die Ränder verbannte. In den letzten Jahren habe ich jetzt ausschließlich für das und im Internet gearbeitet. Auch dort wurde meine Anfangseuphorie von einem freien und vielfältigen Angebot enttäuscht. Die großen Monopolisten reißen alles an sich, und die Menschen bleiben in ihren Blasen gefangen und dienen den Digitalkonzernen als willige Datenlieferanten. Was ich einst als Verheißung erblickte, sehe ich noch genauso, aber wir müssen endlich anfangen, dieses Neuland fruchtbar zu machen.
Seit meine Kinder auf der Welt sind und ich ihnen beim Aufwachsen und Lernen zuschaue, begreife ich immer mehr, wie wichtig das echte Leben, die wirkliche Welt, die spürbare Natur, unsere ganze Umwelt ist. Kinder wollen alles angreifen, befühlen und in den Mund stecken. Kinder wollen hundertmal das selbe Buch anschauen und die selbe Geschichte vorgelesen bekommen. Fernsehen und Internet sind nicht artgerecht. Wenn die Zoowärter so mit ihren Tieren umgehen würden, wäre der Aufschrei in der Gesellschaft unüberhörbar.
NACHHALL soll uns wieder auf das Ursprüngliche zurückführen. Auf das gedruckte Wort. Nur das Wort. Schwarz-Weiß. Keine verführerischen Überschriften. Kein Link, der einen gleich zum Nächsten führt. Kein Foto, das einen unbewusst beeinflußt. Keine Werbung, die sich überall dazwischen schummelt. Die Ablenkungen sind heute so überwältigend, dass sich niemand dem entziehen kann. Die Werbewirtschaft weiß das.
So wie ich ein großer Freund von Slow Food geworden bin, glaube ich auch, dass mit NACHHALL slow news möglich sind. Und wie beim Essen gehören gute und regionale Produkte dazu. Das Papier und der Umschlag sind umweltfreundlich und von deutschen Manufakturen. Wir produzieren, drucken und versenden klimaneutral. Wir streben nicht nach Gewinn sondern wollen nachhaltig wirtschaften. Eine kleine Auflage und Leserschaft ist uns genug.
Welche Vision verfolgst du mit Nachhall? Welchen Dienst an der Gemeinschaft soll Nachhall leisten?
Es wäre schön, wenn der NACHHALL einen Beitrag leisten könnte, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern. Ich will Brücken bauen. Und Zeit schenken. Das Internet ist voll von Hetzern und um Aufmerksamkeit buhlenden Selbstdarstellern. Jeder behauptet von sich, der Beste – und schlimmer noch – Allwissende zu sein. Dabei sind alle Lebensbereiche mittlerweile so komplex, dass niemand allein sie durchschauen könnte. Ich wünsche mir auch eine neue Streitkultur. Nachsicht und Einfühlungsvermögen einer mir fremden Meinung gegenüber – das fällt mir selbst auch schwer, aber ich glaube es kann trainiert werden.
Dienst an der Gemeinschaft? Das klingt mir zu hochtrabend, zu sehr nach Religion. NACHHALL kann vielleicht wieder zum Denken anregen, auch über Spiritualität und Religion. NACHHALL kann vielleicht auch inspirieren, durch Berichte von gelungenen Aktionen, Projekten und Gemeinschaften. Aber NACHHALL bleibt ein Sprachrohr, ein Medium unter vielen. Ich will niemandem raten, sein Zeitungsabonnement zu kündigen oder die Rundfunkgebühr; diese hochwertigen journalistischen Angebote dienen als vierte Gewalt im Staat wirklich der Gemeinschaft. Aber bei Amazon Prime oder Netflix darf man gerne mal einen Monat kündigen und dafür NACHHALL lesen. Als intellektuelles Experiment oder als Kunstprojekt, vielleicht bleibt man dabei… und mehr bei sich und den Menschen!
Wie kann der Leser dieses Artikels dich und das Projekt Nachhall unterstützen?
Zuerst würde ich mich natürlich freuen, wenn er den NACHHALL abonniert oder einfach mal eine Probeausgabe bestellt. Es ist wie bei einer guten Flasche Wein, den kann man in blumigen Worten beschreiben, aber eigentlich muss man ihn sehen, fühlen und schmecken. Und wie beim Wein muss der NACHHALL auch nicht jedem schmecken.
Aber jeder kann dem NACHHALL auch als Nicht-Leser helfen. Wie im Weinberg sind alle auch als Tagelöhner willkommen, reife Trauben zu ernten. Soll heißen, Texte und Autoren vorzuschlagen, damit wir daraus 2x im Monat einen vielfältigen und überraschenden NACHHALL zusammenstellen können. Außerdem sind natürlich auch ganz banal freiwillige Geldzuwendungen hilfreich. Erst ab einer Auflage von 4000 Stück könnten bei einem Verkaufspreis von 6 EUR alle Produktionskosten gedeckt werden. Die erste Hürde, die es zu nehmen gilt, sind 1000 Abonnenten, damit wir wenigstens etwas beim Porto sparen können.
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