Autoren: Günter Kampf, Georg Hörmann, Klaus Kroy, Markus Riedenauer, Andreas Schnepf, Michael Esfeld
In den letzten zehn Jahren waren Streitkräfte bei der Reaktion auf gesundheitliche Notfälle und insbesondere auf Krankheitsausbrüche deutlich sichtbar.1 Mit der COVID-19-Pandemie scheint die Militarisierung des öffentlichen Gesundheitswesens weiter zugenommen zu haben.2 In Frankreich forderte Emmanuel Macron am 16. März 2020 die vollständige Mobilisierung seines Landes für einen Gesundheitskrieg. 3 In Deutschland wurde im Bundesgesundheitsministerium und im nachgeordneten Robert Koch-Institut eine strukturelle Veränderung vorgenommen, die für die Öffentlichkeit jahrelang unsichtbar war.
Im Januar 2020 richtete das Bundesgesundheitsministerium eine neue Abteilung für Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit und Nachhaltigkeit ein, die von einem Generalstabsarzt der Armee geleitet wird, der am 1. März 2020 ernannt wurde. Im Juli 2020 verwendete der Präsident des Robert-Koch-Instituts eine ungewöhnliche Formulierung, als er sagte, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 „niemals in Frage gestellt werden dürfen“, ähnlich wie bei einem militärischen Befehl. 4 Eine parlamentarische Untersuchung im deutschen Bundesland Brandenburg im September 2023 ergab tatsächlich, dass der Generalstabsarzt ihm Befehle erteilen durfte.5
Und die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene veröffentlichte eine Zusammenfassung einer Konferenz über verschiedene Gesundheitskrisen, die im Februar 2023 in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr stattfand. Darin enthalten ist ein „Berliner Aufruf zum Handeln“ mit zehn zentralen Forderungen und Aussagen, darunter, dass Katastrophenprävention und Krisenmanagement im Allgemeinen nur als landesweite Anstrengung der zivil-militärischen Zusammenarbeit erfolgreich sein können.6 Außerdem hat die Charité Berlin, eines der größten Universitätskrankenhäuser Europas, gerade eine Absichtserklärung für eine engere Zusammenarbeit mit dem Berliner Militärkrankenhaus in einem gemeinsamen Ausbildungs- und Simulationszentrum für die Behandlung hochinfektiöser schwerer Krankheiten unterzeichnet. Laut den Unterzeichnern sind solche Joint Ventures, die auch darauf abzielen, die Kompetenzen in den Bereichen chemische, biologische, radiologische und nukleare Bedrohungen zu erweitern, von zentraler Bedeutung für die nationale und verbündete Verteidigung und Gesundheitsversorgung Deutschlands in „Frieden-Krise-Krieg“.7
Im Juli 2024 verabschiedete die bayerische Regierung ein neues Gesetz mit dem Titel „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ , das darauf abzielt, „der Bundeswehr ungehinderten Zugang zu Forschung und Entwicklung an Universitäten“ zu verschaffen und an Gymnasien für die Rekrutierung zu werben – gegen Proteste, die von Akademikern und besorgten Bürgern mit der Lehrergewerkschaft initiiert wurden. 8 Unterdessen erhielten viele Lehrer einen farbenfroh illustrierten Artikel des Deutschen Beamtenbundes (DBB) über den ersten deutschen Kadetten, der als „Plebe“ an der US-Militärakademie West Point eingeschrieben ist, wo er derzeit fleißig lernt, „wie man Befehle entgegennimmt und präzise ausführt“, während die freiwillige Verpflichtung der Universitäten, nur für zivile Zwecke zu forschen (Zivilklausel), in Bayern verboten werden soll9 und für Deutschland, wie von der Militärindustrie gefordert,10 einen schwerwiegender Verstoß gegen die Freiheit der Wissenschaft darstellt.
In anderen Ländern, wie den Philippinen, wurde die COVID-19-Bekämpfung von einer Gruppe ehemaliger Militäroffiziere geleitet. Die Exekutive argumentierte, dass das Land Männer und Frauen brauche, die in der Kunst der Kriegsführung ausgebildet sind, da die Gesundheitskrise ein Kampf gegen den unsichtbaren Feind SARS-CoV-2 sei. Diese Entwicklungen skizzieren die Konturen dessen, was die Schweizer Feminismus-Theoretikerin Tove Soiland in Anlehnung an einen Begriff des französischen Philosophen Michel Foucault als „globales Biosicherheitsdispositiv“ bezeichnet. 11
Aber diese Art von Kriegsstrategie lenkt von einem angemessenen Verständnis des Problems und den erforderlichen richtigen Maßnahmen ab.12 Sie steht in schlechtem Einklang mit den einleitenden Bemerkungen des Generaldirektors der WHO bei der Pressekonferenz zu COVID-19 am 3. August 2020, nämlich dass Regierungen „die Bevölkerung informieren, befähigen und ihr zuhören“ sollten. Stattdessen werfen die unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Ländern eine wichtige Frage auf. Wie könnten politische Entscheidungsträger, Praktiker und Akademiker auf die fortschreitende Zentralisierung und autoritäre (im Fall von COVID-19 oft brutale und gewalttätige) Durchsetzung sogenannter „Gesundheitsstrategien“ reagieren? Ihre Arbeit basiert im Allgemeinen auf liberaldemokratischen Idealen und versucht in der Regel sicherzustellen, dass Programme von einem „Einheitsansatz“ abrücken, indem sie auf lokale soziopolitische Kontexte so reagieren, dass angemessene und wirksame Maßnahmen erleichtert und Schwachstellen eher gemildert als verschärft werden.13
Die einheitliche, militarisierte Form der öffentlichen Gesundheitsversorgung ist ein Rückschritt und ignoriert die Erkenntnisse der Humanökologie. Dennoch wird sie seit 2001 durch den Vorschlag der WHO gefördert, die Gesundheits- und Verteidigungsministerien miteinander zu verbinden und die Streitkräfte in „Interventionen zur Bekämpfung bestehender oder potenzieller Bedrohungen“ zu integrieren. 14 Diese Entwicklung wurde aus völkerrechtlicher Sicht stark kritisiert.15 Darüber hinaus wurde postuliert, dass „Partnerschaften mit dem Militär“ ein Euphemismus sind, da alle aufgrund der überlegenen Ressourcen und föderalen Mandate des Militärs funktional immer dem Militär untergeordnet sind.16 Es ist unrealistisch zu erwarten, dass Werte und Aufgaben der öffentlichen Gesundheit Vorrang erhalten, bis das aufgeblähte Militärbudget des Bundes auf die Sektoren Gesundheit und Bildung umverteilt wird.16
Die schrittweise Militarisierung von Programmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der universitären Forschung sollte daher verhindert werden. Insbesondere muss die Freiheit der universitären Forschung vollständig vor direktem staatlichem und militärischem Zugriff geschützt werden.
Das englische Original des Artikels erschien am 30. Januar 2025 in der neu gegründeten „Zeitschrift der Akademie für öffentliche Gesundheit„unter der Creative Commons (CC BY 4.0) Lizenz.
Fußnoten
1 .McInnes C. Fighting the next pandemic? Civil–military collaboration in health emergencies after COVID–19. Int Aff [Internet]. 2024 Jul 10 [cited 2024 Aug 2];100(4):1551–70. Available from: https://dx.doi.org/10.1093/ia/iiae123
2. Gibson-Fall F. Military responses to COVID-19, emerging trends in global civil-military engagements. Rev Int Stud [Internet]. 2021 Apr 1 [cited 2024 Aug 2];47(2):155–70. Available from: https://www.cambridge.org/core/journals/review-of-international-studies/article/military-responses-to-covid19-emerging-trends-in-global-civilmilitary-engagements/1A68DD0D2F22C5081507FD15743FF2AD
3. BBC News. Coronavirus: “We are at war” – Macron [Internet]. 2020 [cited 2024 Sep 27]. Available from: https://www.bbc.com/news/av/51917380
4. Wildermuth V. Mehr COVID-19-Fälle in Deutschland – RKI-Präsident: “Die Entwicklung macht uns große Sorgen” [Internet]. 2020 [cited 2023 Mar 21]. Available from: https://www.deutschlandfunk.de/mehr-covid-19-faelle-in-deutschland-rki-praesident-die-100.html
5. Wallasch A. Herr Wieler: Wieviel Tote braucht es, um endlich Daten zu erheben? [Internet]. 2023 [cited 2023 Sep 5]. Available from: https://www.alexander-wallasch.de/politik/herr-wieler-wieviel-tote-braucht-es-um-endlich-daten-zu-erheben
6. Exner M, Walger P, Kehe K, Ilschner C. Was wir jetzt tun können und tun müssen: Hygiene in Zeiten von Klimawandel, Pandemien, Naturkatastrophen und Kriegen [Internet]. 2023 [cited 2023 Jul 6]. Available from:https://www.krankenhaushygiene.de/pdfdata/kongresse/2023_05_02_Tagungsbericht_HygieneinZeitenvonKlimawandel.pdf
7. Press Release of the Charité, 29.01.2025. [Internet, cited 2025 Feb 2] Available from: “Infektionsmedizin im Fokus – Bundeswehrkrankenhaus und Charité kooperieren” https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/infektionsmedizin_im_fokus_bundeswehrkrankenhaus_und_charite_kooperieren
8. GEW. Widerspruch gegen Gesetzesentwurf zur Militarisierung des Bildungsbereichs | GEW – Bayern [Internet]. 2024 [cited 2024 Sep 28]. Available from: https://www.gew-bayern.de/presse/detailseite/widerspruch-gegen-gesetzesentwurf-zur-militarisierung-des-bildungsbereichs
9. Bayerische Staatskanzlei. Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern. Bayer Gesetz- und Verordnungsblatt [Internet]. 2024 [cited 2024 Aug 2];14:257–8. Available from: https://www.verkuendung-bayern.de/files/gvbl/2024/14/gvbl-2024-14.pdf#page=13
10. Faust M. Rüstungsindustrie: Universitäten sollen Zivilklausel abschaffen [Internet]. 2025 [cited 2025 Feb 2]. Available from: https://www.golem.de/news/ruestungsindustrie-universitaeten-sollen-zivilklausel-abschaffen-2502-192966.html
11. Soiland T. Corona-Krise: Verschwörung oder Zufall? Weder noch! [Internet]. 2024 [cited 2024 Sep 28]. Available from: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/corona-krise-verschwoerung-oder-zufall-weder-noch-li.2256408
12. Pacaol NF. Plato’s ship of state on the Philippine militarized approach against the COVID-19: a (negative) consequence of representative democracy in public health. Public Health [Internet]. 2021 Sep 1 [cited 2024 Aug 2];198:e25–6. Available from: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34301410/
13. Parker M, MacGregor H, Akello G. COVID-19, Public Authority and Enforcement. Med Anthropol [Internet]. 2020 [cited 2024 Aug 2];39(8):666–70. Available from: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33026253/
14. WHO. National civil–military health collaboration framework for strengthening health emergency preparedness: WHO guidance document [Internet]. 2021 [cited 2024 Sep 16]. Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/343571/9789240030343-eng.pdf
15. Global Health Responsibility. The WHO´s Pandemic Lawmaking [Internet]. 2023 [cited 2024 Sep 16]. Available from: https://www.ghr.agency/?p=6760
16. Barker K, Hagopian A, Pfeiffer J. Militaries and global health. Lancet [Internet]. 2019 Sep 14 [cited 2024 Aug 2];394(10202):917. Available from: http://www.thelancet.com/article/S014067361931342X/fulltext